Turnen in Sande – Gestern und Heute
Wegbereiter
1840 Das Turnen hat schon viel länger Tradition im Jeverland als es die Vereinsdaten vermuten lassen. So gehört in die Riege der Turnväter neben Jahn, GutsMuths und Eiselen auch der 1763 in Hooksiel geborene Gerhard Ulrich Anton Vieth. Er wohnte mit seinem Vater, der Vogt auf Marienhausen war, lange in Sande. Als Motor für die Entwicklung und Verbreitung des Turnens im Großherzogtum Oldenburg und insbesondere im Jeverland steht aber in vorderer Linie der in Jever 1813 geborene Salomon Mendelssohn.
Karl Peters aus Jever widmete sich der Entwicklung des Turnens und veröffentlichte 1960 in einer kleinen Schrift seine Untersuchungen. Das Heft, das er unserem Verein am 15. April 1960 zugeeignet hat (Salomon Mendelssohn – Ein Beitrag zur Geschichte des Turnwesens, erschienen 1960 in dem Oldenburger Jahrbuch Band 58), weist nach, dass der erste Turnplatz des Herzogtums Oldenburg in Jever 1840 errichtet wurde. Aus einer seiner vielen Quellen (Neue Blätter, Oldenburg 1843) geht hervor, dass es Mendelssohn gelang, auch über die Stadt Jever hinaus das Turnen anzuregen. Als die ersten Orte, an denen er wöchentlich einmal dergleichen Übungen geleitet hat, werden Knipphausen und Sande genannt. Da sie als bereits fertig angelegte Turnplätze genutzt werden, ist die Zeit der Erstellung vermutlich auf 1842 oder 1841 festzusetzen. Wie wir auch von anderen Orten aus der Geschichte des Turnens wissen, waren es oftmals Lehrer, die an den Schulen mit dem Turnen begannen. In vielen Fällen gründeten sich Turnvereine erst später.
Der TV – Erste Klimmzüge!
1863 Am 22. Juni 1863 gründeten, möglicherweise angeregt durch die beiden ersten Deutschen Turnfeste 1860 in Coburg und 1861 in Berlin und den neuen Turnverein MTV Jever (von 1862), sechs Bürger den Turnverein Sande. Der seit 1855 als ,,Gemeinde“ bezeichnete Ort hatte damals gerade 1021 Einwohner. Der 1. Vorsitzende dieses Vereins wurde der Landwirt Otto Lüers, das Amt des Turnwartes übernahm der Postexpedient Wilhelm Peters, Schaumburg wurde Schriftwart (ob es sich um den Pfarrer und Kirchenrat Theodor Schaumburg, von 1841 bis 1886 in Sande, handelte oder um Verwandtschaft, wissen wir nicht). Die Versammlungen wurden in Dudens Gasthof abgehalten, geturnt wurde nur im Sommer im Freien hinter dem Gasthaus. Vier Gründungsmitglieder gehörten zu der Gruppe der Handwerker bzw. der Landwirte, zwei zu der der Kaufleute. Vier Mitglieder waren unter und zwei über zwanzig Jahre alt. Die jährlichen Einnahmen betrugen 51, die Ausgaben 46 Thaler gegenüber zum Beispiel dem MTV Jever mit 290 zu 280 Thalern bei 113 Mitgliedern (2. Statistisches Jahrbuch der Turnkunst von 1865, Herausgeber Hirth).
Leider wissen wir nicht, wie sich der Verein dann in den nächsten fünfundzwanzig Jahren entwickelte. Eine Chronik wurde wahrscheinlich nicht geführt, zumindest ist keine überliefert. Im „Jeverschen Wochenblatt“ finden sich jedoch ebenso wie in einigen Festzeitschriften (1965: 100 Jahre TuS Sillenstede) Hinweise, dass Turner aus Sande an verschiedenen Veranstaltungen teilgenommen haben.
Wahrscheinlich sind die politischen Veränderungen nicht ohne Auswirkungen auf die Turnerei geblieben. Oldenburg konnte seine Neutralität nicht länger bewahren und musste sich Preußen anschließen (Norddeutscher Bund), wo das Turnen zeitweise gänzlich verboten war. Erinnert werden darf auch an den deutsch-französischen Krieg 1870/71(unter anderem Schlacht bei Sedan 1870) und die Wahl König Wilhelm 1. zum Deutschen Kaiser im neuen Deutschen Reich. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass aus politischen Gründen Spannungen im Verein auftraten. Die spätere Gründung des Arbeiter – Turnvereins legt davon Zeugnis ab.
MTV Sande – Hürdenlauf
1892 Das erste uns vorliegende Protokoll wurde am 23. Juni 1904 begonnen. In diesem und anderen Protokollen finden wir keinen Hinweis auf die Frage, warum der Verein 1892 neu- oder wiedergegründet wurde. Sicher ist aber, dass zwischenzeitlich der Vereinsname in Männer-Turn-Verein Sande geändert wurde. Überliefert ist uns eine handschriftliche Aufzeichnung eines Turners, in der er 1926 aus seiner Erinnerung berichtet:
„Der Verein wurde am 1. Juni 1892 unter dem Namen »Männer – Turn-Verein« in Taddikens Gasthof gegründet und entwickelte unter der Leitung seines 1. Vorsitzenden, Herrn Poppinga, eine rege Tätigkeit.
Schon im Jahre 1894 konnten einige Turner an den Gauvorturnstunden in Oldenburg teilnehmen. Am 4. August 1895 beteiligten sich die Turner erstmalig an einem Wetturnen in Zetel. Am 1. Juni 1902 wurde die neue Fahne geweiht.“
Wie in einem Festbuch von 1929 aufgezeichnet ist, trägt das rot-weiße Vereinsbanner im roten Felde den Spruch: „Ein einig Volk voll Mut und Kraft sei das Panier der Deutschen Turnerschaft.“ Es wird weiter berichtet, dass es im Wachstum des Vereins ab 1898 einen Stillstand gab, weil viele der besten Turner und Turnwarte zum Heeresdienst eingezogen wurden.
Turnwart Behrends schreibt: „Geturnt wurde recht wenig, dafür um so mehr gespielt; leider nicht mit Schleuderball oder Faustball wie heute, sondern mit … Karten. Deshalb heißen diese Jahre des Niedergangs von 1898 bis 1900 in der Vereinsgeschichte die Zeit des „Schafskopp Klubs“, weil das Schafskoppspielen zum Unfug auswuchs und das Turnen zu ersticken drohte.“
Während der Verein bis dahin dem „Turnverband Friesische Wehde“ angehörte, trat er für die Zeit von 1901 bis 1909 dem Turnbezirk „Wilhelmshaven und Umgebung“ bei. In diese Zeit fällt auch das erste Turnfest dieses Bezirkes, das am 30. August 1908 in Sande stattfand. Hiervon berichtet uns die Festschrift von 1908.
Am 5. Februar 1905 wird der Schmiedemeister Adolf Moritz zum 1. Vorsitzenden gewählt und übt dieses Amt fast vierzig Jahre ununterbrochen aus. Er bleibt der Vorsitzende bis 1944. Unter der Leitung von Moritz blüht der Verein auf und beteiligt sich unter anderem rege an den Gau- und Verbandsturnfesten. In der Gemeinde Sande wird der Verein wichtiger Teil des kulturellen Lebens. Zusammen mit den beiden Gesangvereinen ,,Eiche“ und ,,Männergesangverein“ werden regelmäßig kleine und größere Festbälle veranstaltet. Wie uns die Protokolle berichten, bestellt der Turnverein 1908 Fritz Schnieder als eigenen Singewart.
Am 1. April 1911 tritt der MTV dem Turnverband „Friesische Wehde“ wieder bei und bleibt ihm bis zu seiner Auflösung 1935 treu. Die Verbandsgrenzen waren damals wesentlich weiter gesteckt: Außer Sande, Zetel, Bohlenberge, Neuenburg, Grabstede und Bockhorn gehörten auch die ostfriesischen Vereine aus Horsten, Marx, Etzel, Friedeburg und Wiesmoor dazu.
Während der vorgenannte Mendelssohn das Schülerturnen schon um 1840 betrieb und damals auch bereits die Mädchen dazugehörten – sogar Frauenturnen von ihm gefördert wurde – fingen die Turnvereine erst um die Jahrhundertwende damit an. 1906 führt der MTV das Schülerturnen ein und zunehmend bekunden auch Frauen ihr Interesse am Turnen. So wird am 14. Januar 1914 offiziell eine Mädchen- und Frauenabteilung angeschlossen. Nach der Teilnahme am Verbandsturnfest in Steinhausen am 12. Juni 1914, an dem sich die Turnerinnenabteilung beteiligt, muss das Vereinsleben während der Zeit von 1914 – 1918 weitgehend ruhen. In dieser Zeit verschicken Vereinsmitglieder Liebespakete an die Sander Turner, die als Soldaten an die Front befohlen waren.
Die erste Revolution in Deutschland 1848 hatte für die Menschen noch geringe Auswirkungen, allerdings wurde in Oldenburg der erste Landtag aus freien Wahlen gebildet. Im November 1918 erlebt Deutschland nun die zweite Revolution, vor allem getragen von den Matrosen der Kriegsmarine. Zwar hält sich die „Selbständige Republik Oldenburg Ostfriesland“ nur drei Monate, und die Aufstände des Arbeiter- und Soldatenrates werden schnell niedergeschlagen. Doch der deutsche Kaiser Wilhelm II. und mit ihm alle deutschen Fürsten danken ab und verzichten auf ihre Herrschaft. Die erste Deutsche Republik aus freien Wahlen wird gegründet.
Wieder TV die Sprossenwand hinauf
1919 Mit frischem Mut geht es nun auch im MTV am 2. Februar 1919 mit dem alten Stamm weiter. Am 13. Juli wird bereits in Neustadtgödens wieder ein Turnfest gefeiert. Am 3. September 1919, so berichtet uns ein Protokoll, gründet der Verein eine Alt-Herren-Riege. Am 1. Juni 1920 ändert der Verein seinen Namen in Turnverein Sande von 1892, um den vielen weiblichen Mitgliedern Rechnung zu tragen. Hier taucht nun erstmals die Jahreszahl 1892 offiziell auf. Für seinen unermüdlichen Fleiß im Einsatz für den Verein und für seine ständige Beteiligung an allen Turnfesten erhält Hinrich Suhrmeyer am 13. März 1921 die Ehrenurkunde der Deutschen Turnerschaft (DT).
Aus mündlicher Überlieferung wissen wir, dass sich um 1919 auch in Sande ein Turnverein bildete, der dem Arbeiter Turn- und Sportbund (ATUS) angehörte:
Freie Turnerschaft Sande und Umgebung. Auch dieser Verein ist Vorgänger unseres heutigen TuS Sande. Nur spärliche Unterlagen über diesen Verein liegen vor. Aus den vorhandenen Urkunden wissen wir von einem Wetturnen, das 1922 in Sande stattfand, und dass am 3. Juni 1923 der „Reichsarbeitersporttag“ in Sande ausgerichtet wurde. Die beiden Vereine der DT und des ATUS waren sich nicht sonderlich freundlich gesonnen, obwohl 1919 über einen Zusammenschluss schon mal gesprochen worden war, wie im Protokoll verzeichnet ist.
Die wirtschaftliche Not ist groß. Bis 1925 wird die Werft in Wilhelmshaven, vormals ein bedeutender Arbeitgeber, nur noch als Abwrackbetrieb beschäftigt (Wöbken, Oldenburgische Geschichte). Trotzdem erhält Sande 1922 einen Sportplatz, nachdem vorher nur auf Grundstücken von Gastwirtschaften und auf einer Wiese geturnt wurde, die sich dort befand, wo heute hinter dem Rathaus der erste neue Friedhof liegt. Am 18. Juni 1922 richtet der TV Sande auf dem neuen Platz das Verbandsturnfest aus und feiert analog seiner Namensgebung das 30 jährige Bestehen.
Zur Stärkung des Nationalgefühls war 1875 das Hermanns – Denkmal im Teutoburger Wald errichtet worden. 1925 zur 50. Wiederkehr der Einweihung veranstaltet die Deutsche Turnerschaft einen Sternlauf zu diesem Denkmal. Aus allen Gauen Deutschlands, selbst aus den deutschen Turnvereinen in den USA, Afrika, Dänemark, Holland und Spanien reisen Turnerinnen und Turner an und auch einunddreißig Sander beteiligen sich.
1926 beschließt der Verein, eine Turnhalle zu bauen und veranstaltet für die Finanzierung ein Werbefest. Mit Datum vom 16. Juni 1927 wird vor dem Notar Friedrich Christians in Jever ein Kaufvertrag zwischen dem Gastwirt Adolf Körber und dem Turnverein Sande e. V. abgeschlossen. Inhalt des Vertrages, ist, dass Körber hinter seinem Gebäude eine Fläche von 11,25 ar kostenlos für den Bau einer Turnhalle dem Verein übereignet. Aus dem Protokollbuch geht hervor, dass Ernst Behrends das Projekt bearbeitete und den Bau einer Eisenkonstruktion in der Größe von 12 x 30 m vorschlug. Die Materialkosten sollten 4000,00 Reichsmark betragen. Voraussetzung für den Bau sollte eine gesicherte Finanzierung sein. Trotz Verkauf von Anteilscheinen und Bausteinen konnte der Betrag nicht zusammengebracht werden und der Bau unterblieb.
Immer wieder aber wird berichtet, dass der TV rege an den Turnfesten teilnahm. Außerdem gestaltete er in Sande manche Feier. Großen Anteil daran hatte auch das Trommler- und Pfeiferkorps, das es schon seit langem im Verein gegeben haben muss. Am Deutschen Turntest 1928 in Köln nehmen auch zwei Turnerinnen aus Sande teil. Am 29. und 30. Juni 1929 findet das 31. Verbandsturnfest des Turnverbandes „Friesische Wehde“ in Sande statt. Hier erhält der Vorsitzende Moritz für seine besonderen Leistungen in der Vereinsführung den Ehrenbrief des „5. Kreis, Unterweser und Ems“, der regionalen Verbandseinteilung, die zum Teil dem heutigen Turnbezirk Weser-Ems entspricht.
1932 widmen Ernst Taddiken und Gustav Dey dem Verein ein Stammbuch, in dem die Gründer und Amtsinhaber sowie die Mitglieder des Vereins aufgeführt werden sollten. Das Stammbuch befindet sich in einer dicken hölzernen Schatulle. Diese trägt eingebrannt die Inschrift: „DT Turnverein Sande 1892 bis 1932“. Die Widmung geschah zum 40 jährigen Jubiläumstest. Auf diesem Fest wurde der Vorsitzende Moritz mit dem Ehrenbrief der Deutschen Turnerschaft (DT) vom Vorsitzenden des Oldenburger Turngaues, Nikolaus Bernett, ausgezeichnet. Das Stammbuch wurde aber nur bis 1935 geführt.
Aus dem Jeverschen Wochenblatt vom 1. November 1931:
Turn- und Festabend des Turnvereins Sande von 1892
Der Turnverein Sande veranstaltete am gestrigen Abend einen Turn- und Festabend im Gemblerschen Vereinslokal. Herr Hauptlehrer Pundt hieß im Namen des Vereins die recht zahlreichen Gäste sowie Freunde und Gönner des Vereins herzlich willkommen, insbesondere dankte er dem Turnverein der Friesischen Wehde für dessen rege Anteilnahme. Den heutigen Abend habe man Turn- und Festabend genannt, eigentlich seien solche Feste Arbeitsfeste oder aber auch Werbeabende für sich selbst. Leider könne die ganze Abteilung wegen Platzmangels nicht gezeigt werden. Trotz Krieg und Nachkriegszeit habe der Verein seit seinem Bestehen die schönste Entwicklung zu verzeichnen, jedoch weise er mit Nachdruck auf die rege Teilnahme der Butjadinger Jugend hin, wo jedes Mädchen und jeder Junge dem Turnen huldige. Auf dem Turnboden seien alle gleich. Dieser Sinn müsse ins deutsche Volk hereingetragen werden. Dieses Nichtverstehen könne nur in Deutschland Fuß fassen. Vor 120 Jahren habe der Turnvater Jahn die Volksgemeinschaft geschaffen. Gleichzeitig danke er den alten Turnern für ihre Treue, welche noch immer festhielten an den großen Idealen Jahns. Wo deutsch gefühlt und gearbeitet wird, dort wird’s geschaffen mit der deutschen Volksgemeinschaft, dort müssen nach diesen schweren Jahren doch einmal die Fesseln des Gebundenseins gesprengt werden. Mit einem „trete ein in unsere Reihen“ schloss er seine mit großem Beifall aufgenommene Ansprache.
Eingeleitet wurde der schöne Abend durch Lieder der Singabteilung: „Und wenn wir marschieren“ und „Unser ist die Sonne“ unter Leitung des Herrn Hauptlehrers Pundt. lm Mittelpunkt des Abends stand die Gymnastik der Frauenabteilung sowie das Geräteturnen derselben. Durch einfache Bewegungsformen wird der Körper in der Bewegung geschult, und so fanden ihre Stabübungen, Übungsformen nach Tangomusik Keulenübungen und Freiübungen nach Walzermusik, großen Anklang. Im Barrenturnen wurde mehrfach mit Eifer Gutes dargebracht. Aber auch die „Alten Herren“ von 50 bis 62 Jahren leisteten am Barren selbstverständlich Vorzügliches. Ein Zeichen, dass das turnerische Leben in diesen noch wach ist. In Boden- und Gewandtheitsübungen, Reckturnen und Sprünge am Pferd zeigten die Turner ihr großes Können, welches von den Gästen mit reichem Beifall belohnt wurde. Einen schönen Übergang bildeten jedes mal altertümliche Volkstänze, wie „Hetlinger Bandriter“, „Bruder Lustig“, „Graf von Luxemburg“ und „Morgen muss ich wandern“, ausgeführt von der Sing- und Tanzabteilung. Zum Schluss der turnerischen Darbietungen begann der Festball, jedoch wurde zuvor von Fräulein Thekla Jürgens der Vorturnerin Fräulein Henny Andres im Namen des Frauenturnvereins ein großer schöner Blumenkorb mit einem geschlossenen kräftigen „Gut Heil“ überreicht. Dieselbe ist seit zehn Jahren Vorturnerin.
Balanceakte
1933 Einen ersten Hinweis auf die Hitlerzeit findet sich im Protokoll vom 2. August 1933, als der 1. Vorsitzende Moritz von dem 15. Deutschen Turnfest in Stuttgart berichtet und die Worte des Reichssportkommissars zitiert: „Wer die Deutsche Turnerschaft angreift, der greift auch Deutschland an.“ Ein weiterer Hinweis für das Einwirken auf die Vereinsarbeit findet sich im Protokoll vom 4. Oktober 1933 darin, das mit den Worten beginnt: „Der Vereinsführer Moritz eröffnete die Versammlung.“ Von nun ab wird von einem Vorsitzenden nicht mehr gesprochen.
Die „Freie Turnerschaft Sande“ wird durch die NS-Herrschaft aufgelöst, das Vermögen verfällt dem Staat. Am 8. November 1933 wird das Pflichtturnjahr eingeführt. Turnerinnen und Turner, die ihre Beiträge nicht bezahlt haben, sollen ausgeschlossen und der (NS-) „Gauleitung“ gemeldet werden. Am 27. Februar 1935 wird in einer außerordentlichen Hauptversammlung des TV Sande, wie überall in Deutschland, die Vereinsfreiheit aufgegeben. Im Protokoll heißt es:
„Der Vereinsführer gab bekannt, dass die bisherigen Satzungen des Vereins außer kraft treten, und dass auf Anordnung des Reichssportführers und der Deutschen Turnerschaft nur die herausgegebene Einheitssatzung Gültigkeit hat. Vom Schriftwart wurde hierauf die Einheitssatzung verlesen und diese von der Versammlung einstimmig angenommen.“
Scheinbar änderte sich auch der Stil der Versammlungen. Der Schriftführer hatte nicht gewechselt, aber die Protokolle sind kürzer und „kälter“, Beschlüsse klingen nach Befehlsempfang. Am 18. April 1936 löst sich die Deutsche Turnerschaft beim letzten Deutschen Turntag in Berlin auf.
Damit wird erneut die Annahme der neuen Einheitssatzung fällig, in der nun die Deutsche Turnerschaft nicht mehr vorkommt. Ohne Hinweis auf die Gründe wird diese Satzung noch einmal am 6. Mai 1940 angenommen. Dies ist die letzte Aufzeichnung im Protokollbuch. Ein Oktavheft liegt an, in dem die Notizen vom 2. Januar 1944 datieren. Hier wird unter anderem auch auf Jugendwettkämpfe hingewiesen, die am 1. August 1943 unter Beteiligung von Jugendlichen aus Sande stattfanden. Außerdem wird vom Ankauf eines Klaviers für vierhundert Reichsmark berichtet.
TuS Sande: Ein Start mit Hindernissen
1946 Die Not ist groß! Wilhelmshaven wurde zu 60% zerstört, es herrscht Wohnungsnot. Die Hafenanlagen werden (noch bis 1950) gesprengt, intakte Industrieansiedlungen gibt es nicht mehr. Es fehlt an Nahrungsmitteln und Heizungsmaterial, an Arbeitsstellen und Baumaterial, es fehlt an allen Enden. In Sande sind nur wenige Bomben gefallen. Aber die schwere Nachkriegszeit geht auch an diesem Dorf nicht vorbei. Die Besatzungstruppen und dann die vielen, vielen Flüchtlinge verändern Sande. Mit der steil ansteigenden Einwohnerzahl kommen weitere Probleme. Aber die Menschen lassen sich nicht entmutigen. Sie bauen auf die Zukunft.
Die Neuzeit unseres Vereins beginnt am 14. Februar 1946, als Herr Bohlen die Initiative ergreift und zur Neugründung eines Turnvereins eine Versammlung einberuft. 61 Teilnehmer verzeichnet das Protokoll. Als 1. Vorsitzender wird der spätere Ratsherr Wilhelm Scharenberg gewählt, der früher der Freien Turnerschaft nahestand und vor allem – dies war eine der Vorbedingungen der Siegermächte – nicht Mitglied der NSDAP war.
Übersetzung
17. Dezember 1945
CORC/P(45)180(Final)
ALLIED CONTROL AUTHORITY
Alliierte Kontrollbehörde
CONTROL COUNCIL
Kontrollrat Nr.23
EINSCHRÄNKUNG UND ENTMILITARISIERUNG DES DEUTSCHEN SPORTS
Der Kontrollrat ordnet an.
- Jegliche Aktivität von Sportorganisationen und solchen Organisationen, die der militärischen bzw. vor=militärischen Körperertüchtigung dienen (Klubs. Vereine, Anstalten und andere Organisationen) und die in Deutschland vor der Kapitulation bestanden, ist zu verbieten und sind diese Organisationen ab 1. Januar 1946 auf. zulösen.
- Das Betreiben und die Entfaltung innerhalb der deutschen Bevölkerung von Organisationen. die der militärischen Körperertüchtigung dienen, ist verboten. Dieses Verbot soll besonders auf Organisationen Anwendung finden, die sich mit Luftfahrt, Fallschirmspringen, Segelflug, Fechten, militärischer oder vor=militärischer Ertüchtigung bzw. Ausrichtung, Schießen mit Schußwaffen und dergleichen befassen.
- Die Unterrichtung in sportlicher Betätigung militärischer oder militärähnlicher Natur bzw. das Betreiben eines solchen Unterrichts in deutschen Lehranstalten. öffentlichen und politischen Organisationen, Firmen und Fabriken und in allen sonstigen Organisationen ist verboten.
- a. Die Errichtung nicht=militärischer Sportorganisationen lokalen Charakters ist auf deutschem Gebiet zu gestatten. b. Diese Organisationen sollen nicht über den Bereich eines Kreises hinausgehen und sollen seitens öffentlicher oder privater Körperschaften mit einer über Kreisebene hinausragenden Organisation keinerlei Beaufsichtigung oder Unterweisung erfahren noch Gelder erhalten, ausgenommen mit Genehmigung durch den Zonenkommandeur, die sich ausschließlich auf solche Sportarten begrenzen soll, denen unter keinen Umständen irgendwelche militärische Bedeutung beigemessen werden kann. c. Jede neu gegründete Sportorganisation lokalen Charakters bedarf der Genehmigung durch die örtliche Alliierte Besatzungsbehörde und die Tätigkeit einer solchen Organisation unterliegt der Beaufsichtigung durch diese Behörde. Die körperliche Ertüchtigung wird auf Grundlagen der Heilhygiene und des Ausgleichssports erfolgen, unter Ausschlug solcher Übungen, die militärähnlichen Charakter besitzen.
- Die Durchführung der Bestimmungen dieser Anordnung wird durch die Zonenkommandeure in Deutschland sichergestellt.
Ausgefertigt in Berlin, 7. Dezember 1945 gez. Lucius D. Clay gez. Brian L. Robertson gez. Louis Koeltz gez. Sokoluvsky
Eine andere Bedingung stand in der Kontrollratsdirektive Nummer 23: Die Turnvereine durften nicht unter ihrem alten Namen weitermachen. So entsteht der heutige „Turn- und Sportverein Sande“. In ihm wie auch in den anderen Vereinen gelingt die Zusammenführung ehrenamtlicher Mitglieder der Deutschen Turnerschaft und des Arbeiter –Turn – und Sportbundes mit völlig unpolitischer Ausrichtung.
Der TuS wird Mitglied im neuen Oldenburger Turnbezirk, der sich in den Grenzen des Verwaltungsbezirkes Oldenburg im neuen Land Niedersachsen bildet. Der Verein blüht auf und hat 1952 schon wieder 212 Mitglieder. Geturnt wird zunächst im Tanzsaal der Gaststätte „Sander Hof“, Rohlfs, ab Ostern 1951 dann im Gasthof „Erbkrug“, lgwerts. Auch das Brauchtum lebt wieder auf. Heimatabende werden veranstaltet, alte Turnlieder gesungen und Volkstänze geübt. Außerdem wird das Faustballspiel eingeführt.
Als der Turnraum 1954 aufgekündigt wird und der Verein auch nicht wieder zum „Sander Hof“ zurück kann, muss das Geräteturnen ganz aufgegeben werden. Es besteht bis 1960 nur noch ein Restvorstand; im Sommer wird Faustball gespielt, bei den ,,Sander-Markt-Spielen“ und auswärts.
Frisch – Fromm – Fröhlich – Frei
1960 Rechtzeitig zur Fertigstellung der gemeindeeigenen Turnhalle bei der damaligen Volksschule, beruft der amtierende Vorsitzende Wilhelm Günther, jetzt Ehrenmitglied des Vereins, zum 27. Januar 1960 eine Versammlung ein „zwecks Wiederaufnahme des Turnbetriebes“. Seitdem kamen wohl nie wieder so viele Interessierte zu einer Versammlung unseres Vereins, denn laut Protokoll trugen sich spontan 240 als Mitglieder in die ausgelegten Listen ein. Die Mitgliederzahl geht zunächst jedoch wieder herunter und 1961 hat der Verein noch 135 Mitglieder, wohl ein gesunder Anfang für einen neu formierten Verein.
In den nun folgenden über 25 Jahren werden viele neue Turn- und Sportgruppen eingerichtet, an denen maßgeblich die unermüdliche Anneliese Schmidt (bis 1980) und der Verfasser beteiligt sind. Der Turnschwester wird 1964 die Ehrennadel des Deutschen Turner-Bundes verliehen, und der TuS bedankt sich 1980 für ihre überragenden Verdienste um den Verein mit der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft und der Goldenen Vereinsehrennadel. 1963 wird auf Initiative von Horst Böttcher und Hermann Pichert, letzterer heute Gemeindedirektor in Sande, eine Judoabteilung angegliedert. Am 5. November 1964 bekommt der Verein auch wieder eine eigene Fahne, die von Turnschwester Edda Theilen gefertigt und gestiftet wurde. 1966 bildet sich durch Initiative von Edda Theilen eine Sportabzeichen-Gruppe, die ab 1972 von Arthur Steevens geführt wird.
Die Mitgliederzahl des Vereins, lange bei 200 gelegen, geht nun stetig aufwärts. Dazu trägt sicher auch das 1967 mit Verspätung gefeierte Jubiläum „100 Jahre Turnen in Sande“ bei. Nachdem seit 1969 Tischtennis als Hobby-Sportart gespielt wird, ruft Peter Wiens 1973 die Tischtennis-Abteilung ins Leben. Dem TuS gehören zu diesem Zeitpunkt bereits über 500 Mitglieder an. Am 1. April 1980 gibt sich der Verein eine neue Satzung und wird mit dieser am 21. Mai 1980 in das Vereinsregister beim Amtsgericht Jever mit dem Namen ,,Turn- und Sportverein Sande von 1863 e.V.“ eingetragen.
Neben den Kleinkinder-, Kinder- und Erwachsenen-Gruppen wird 1981 die erste Seniorenturngruppe eingerichtet und der Verein bietet das Turnen nun für drei Generationen an. Er hat inzwischen 784 Mitglieder. In Zusammenarbeit mit dem Kreissportbund Friesland (und dem MTV Jever) stellt der Vorstand 1982 die erste hauptamtliche Übungsleiterin ein. 1983 wird die sehr aktive Sportabzeichengruppe offiziell in die Leichtathletik-Gruppe umgewandelt. Zusätzlich erweitert der Verein sein Angebot durch die neue Badminton-Abteilung.
1984 reift der Plan, ein eigenes Vereinsheim bei der Grundschule einzurichten. Nach Abschluss des Pachtvertrages mit der Gemeinde Sande und erheblichen Umbauarbeiten vor allem durch Mitglieder aller Vereinsabteilungen wird der ehemalige Werkraum der Grundschule neben der Turnhalle als Stätte der Begegnung und als Kleinturnstätte für die neuen Gruppen „Babyturnen“ und „Senioren-Turnen der Älteren“ eingeweiht. Am 26. Mai 1985 erhält der Verein anlässlich des Landesturnfestes in Salzgitter eine neue Vereinsfahne, da die alte inzwischen verschlissen ist. Die neue Fahne bekommt im Vereinsheim einen würdigen Platz und ist dort der besondere Schmuck des Hauses.
Während der Verein in früheren Jahrzehnten als Schwerpunkt das Geräteturnen führte, hat sich der TuS Sande entsprechend den veränderten Anforderungen in den letzten fünfundzwanzig Jahren allen Bürgern seiner Gemeinde geöffnet. Wenn auch in einigen Abteilungen sehr gute Leistungen gezeigt werden, liegt der heutige Schwerpunkt doch im Breiten- und Freizeitsport, d.h. im vielseitigen Turnen.
Dabei macht er Angebote für Kleinkinder ab 6. Lebensmonat bis hin zu den ältesten Senioren. Und so hat er seine leistungsfähige Größe erreicht: Am 1. Januar 1988 gehören ihm 1008 Mitglieder an.
Einer Tradition ist der Verein aber über die Geschichte von 125 Jahren Turnen in Sande treu geblieben: Der Verein bemüht sich, ein Hort der frohen Gemeinschaft zu bleiben und getreu Jahns Vorstellungen die ganzheitliche und volkstümliche Leibeserziehung für alle zu bieten.